Supervision und Coaching - Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Supervision und Coaching verstehen wir als unterschiedliche, eng verwandte, und auch eigenständige Beratungsformate. Sie bilden aktuell den Kern des Beratungsangebotes der DGSv (vgl. DGSv 2023).

Der Begriff „Coaching“kommt aus dem Sport und wird in den USA schon im 19. Jh. verwendet: ein Coach ist eine Person, die andere auf Prüfungen, spezielle Aufgaben und Wettbewerbe vorbereitet. Im engeren Sinne entwickelt sich Coaching im Leistungsport- und Profitbereich: Betriebswirte und Managerinnen entdecken Psychologie, Pädagogik und  psychotherapeutische Methoden zur Förderung der Mitarbeitenden. Ausgangspunkt ist das  entwicklungsorientierte  Führen von Mitarbeiter: innen durch Vorgesetzte.

Demgegenüber entwickelt sich Supervision ab 1900 aus der Praxisanleitung für Case-Work im Zuge der Professionalisierung der „Social Work“ in den USA. Supervision übernimmt eine Unterstützungs-  und Kontrollfunktion. Einen wichtigen konzeptionellen Beitrag leistet die Kontrollanalyse in der psychoanalytischen Ausbildung (um 1920). Die Beratung fokussiert den Umgang mit Klient: innen und Patient: innen, das Rollenvorbild ist der langjährig berufserfahrene und universitär ausgebildete Vorgesetzte (Praxisberatung).

Das Angebot an Coaching und Coaching-Ausbildungen ist nachwievor sehr unübersichtlich. Nachdem sich 2005 der RTC „Round Table Coaching“ der deutschsprachigen Coachingverbände gründete und Stefan Kühl eine Studie zum Scharlatanerieproblem vorlegte, stehen laut RTC 2024 etwa 14.000 professionell ausgebildeten Coaches mindestens 50.000 selbsternannte Coaches gegenüber (vgl. Lambers, 2024, 9). Sporttrainer:innen, ehemalige Führungskräfte, Trainer- und Personalentwickler: innen beraten ohne eine eigenständige fundierte Ausbildung. Die fehlenden einheitlichen Qualitätsstandards erleichtern fragwürdige und dubiose Angebote, die in den Medien zu negativen Schlagzeilen führen können (vgl. Lambers, 2024).

Wird Coaching-Kompetenz hingegen professionell verstanden und in einer fundierten Weiterbildung erworben, so lassen sich mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zu Supervision festellen.

Gemeinsam ist ihnen:

Beratung beginnt vor der Beratung

Denn die fachliche Basis von qualitativ hochwertiger Beratung bildet eine „umfassende Auftragsklärung“ (Beratung vor der Beratung). Hier klärt sich, welche Formate arbeitsweltlicher Beratung in einer ganz spezifischen Situation wie und mit welchem Ziel zum Einsatz kommen. Die Auftragsklärung mündet in eine entsprechenden Kontraktierung (z. B. Dreieckskontrakt) als wesentliches Element der Prozesssteuerung.

Beratung ist Arbeit in Spannungsfeldern

Beratung verstehen wir als Arbeiten im Spannungsfeld von Person, Rolle, Organisation und Anspruchsgruppen (Kund:innen, Klient:innen, Mitarbeitende etc). Dazu gehört immer auch eine arbeits- und lebensweltliche sowie gesellschaftliche Kontextualisierung.

Beratung bietet Freiräume

Beratung bietet für Personen in Organisationen Räume gedanklicher und emotionaler Freiheit. Sie können darin neue Handlungs-und Entscheidungsmöglichkeiten entwickeln, weil sie den Raum bekommen, in Ruhe zu reflektieren, kreativ zu werden und sich auf Wesentliches zu konzentrieren.

Beratung initiiert Aushandlungsprozesse

Beratung initiiert Aushandlungsprozesse für und zwischen Person, Rolle, Organisation und weiteren Kontexten (z. B. gesellschaftlichen). Die Aushandlung bezieht sich auf Aufgaben, Ziele, Interessen, Kommunikation, Überzeugungen, Werthaltungen und Zugehörigkeiten sowie innere und äußere Hierarchien. Das komplexe Interaktionsgeschehen, das sich zwischen den verschiedenen Rollenträger:innen entwickelt, ist Grundlage des prozessorientierten Kontraktverständnisses. Hierbei wird auch das latente Geschehen der Organisationen und deren Akteur:innen in den Blick genommen und beachtet, es wird besprechbar und damit bearbeitbar.

Beratung ist ethisch fundiert

Supervision wurzelt in Sozialarbeit, Psychoanalyse und Pädagogik. Sie war und ist ein relevanter Beitrag zur neu entstandenen demokratischen Praxis Deutschlands nach dem Faschismus und Holocaust.

Das ist von großer Bedeutung und prägt das Selbstverständnis der DGSv-Supervisor: innen und Coaches. So gesehen ist die ethische Fundierung von Supervision und Coaching nicht neutral, sondern sie bezieht sich auf eine demokratiepolitische Relevanz.

Das Fundament: supervisorische Kompetenz und Haltung

TOPS-Mitglieder haben einen hohen professionellen Anspruch. Sie fühlen sich der Tradition der Aufklärung verpflichtet. Sie wollen nützliche, gewinnbringende, funktionale Reflexionsprozesse von Menschen und Organisationen unterstützen. Zugleich übernehmen sie eine gesellschaftliche Aufgabe, indem sie Demokratisierung, Diskursfreundlichkeit, Reflexivität, Emanzipation und Transparenz fördern sowie für klare Rollen und Verantwortlichkeiten in der Arbeitswelt sorgen. Ihre Beratung ist geprägt von einer sorgfältigen Auftragsklärung, Diagnostik und Prozessgestaltung hinsichtlich der Dimensionen Person, Rolle und Organisation.

Nun zu den Unterschieden:

Supervision: komplexe Beziehungen gestalten

Supervision ist Beratung für Personen und Organisationen, deren eigene primäre Aufgabe die Arbeit mit und am Menschen ist und die deshalb immer wieder ihre professionelle Position in der Spannung zwischen Nähe und Distanz zu ihren Klient:innen neu finden müssen. Dies ist eine höchst anspruchsvolle Beziehungsarbeit, für die Supervision unerlässlich ist. Supervision ermöglicht eine kontinuierliche Berufsrollenreflexion. Supervision richtet sich an Einzelpersonen, Gruppen oder Teams. Sie ist eingebunden in das Organisationsgefüge und leistet einen Beitrag zur Organisationsentwicklung.

Coaching: den Arbeitsalltag meistern

Coaching richtet sich an Personen, oft Führungskräfte, in Organisationen, deren Ziel es ist, ihr Handlungsrepertoire zu erweitern. Es ist meist anlassbezogen, lösungsorientiert und zeitlich begrenzt. Und zwar mit Blick auf eine ganz bestimmte professionelle Fragestellung oder Herausforderung. Coaching unterstützt bei der Selbstreflexion und bei der Erprobung neuer Verhaltensweisen. Es richtet sich insbesondere an Einzelpersonen oder Teams, wobei es auch Weietrentwicklungen zu Team- und Gruppencoaching gibt.

Mehr lesen:

DGSv (2023): Was ist Supervision? Was ist Coaching? Zum Stand der Differenzierungsdebatte, DGSv Köln, https://www.dgsv.de/medien/publikationen/

Judy, Michael/Knopf, Wolfgang (Hg.) (2016): Im Spiegel der Kompetenzen. Supervision und Coaching in Europa, Wien: Facultas.

Greif, Siegfried (2008): Coaching und ergebnisorientierte Selbstreflexion. Theorie, Forschung

und Praxis des Einzel- und Gruppencoachings, Göttingen: Hogrefe

Kühl, Stefan (2005): das Scharlatanerieproblem – Coaching zwischen Qualitätsproblemen und Professionalisierungsbemühung. Eine Studie im Auftraga der DGSv 2005.

Lambers, Sarah (2024): Zwischen Staat und Freiheit. Die Zukunft des Coachings. In: Tainingaktuell,, 35 Jg. Nr12/ 2924,, 6-11.

Lohl, Jan2019): …und ging ins pralle Leben. Facetten einer Sozialgeschichte der Supervision. Vandenhowck & Ruprecht: Göttingen.

Pühl, Harald (Hg.) (2012): Handbuch der Supervision 2, Berlin: Leutner Verlag.

verfasst von Hubert Kuhn.